K L A N G (T) R A U M
Am Sonntag, 31. Juli um 14 Uhr startet im Rahmen der Konzertreihe der Davoser Abendmusik in der Kirche St. Johann das längste Musikstück der Literatur: Erik Satie „Vexations“. Satie schafft in seinen „Vexations“ ein vierzeiliges Motiv, das durch 840 Wiederholungen einen Klangraum von 28 Stunden entstehen läßt; oder um es mit seinen Worten auszudrücken eine „musique d’ameublement“, die durch ihre Klangfarben einem Raum eine Möblierung - quasi eine Klangtapete - gibt.
Ausführende sind Organisten aus der Schweiz und Deutschland. Während der gesamten Aufführung ist die Kirche Tag und Nacht geöffnet. Ende des Konzertes ist am Montag, 1. August um 18 Uhr mit dem Abendläuten.
Erik Satie (1866-1925) war einer der größten musikalischen Querdenker der Moderne und hatte außerdem Humor. In seinem Hauptberuf als Varietépianist ohne Anspruch auf akademische Anerkennung konnte er es sich leisten, neue Wege zu beschreiten.
Satie war von zu Hause aus musikalisch vorgeprägt durch seine Eltern, die selbst musizierten und komponierten. Sie schickten den begabten Jungen bereits mit 13 Jahren auf das Pariser Konservatorium, wo er jedoch nicht heimisch wurde und nach drei Jahren abging. Seit 1887 mit 21 Jahren war er in der Künstlerkolonie Montmartre ansässig und verdingte sich als Barpianist. Als einer der ersten unterschied er nicht zwischen erhabener Kunst und U-Musik, stilistisch stets für alles offen, begeisterte er sich für Schlager ebenso wie für Wiener Walzer oder Ragtime. Die "Vexations", übersetzt Quälereien, bestehen aus vier Zeilen, die nach Anweisung des Komponisten 840x im Tempo „Très lent“ (sehr langsam) gespielt werden sollte und auf die man sich „mit großer Stille und ernsthafter Unbeweglichkeit vorbereiten sollte”.
Neben der neuartigen Idee der fast unendlichen Wiederholung, die erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts von den Minimalisten aufgegriffen wurde, war auch die harmonische Struktur der „Vexations“ überaus ungewöhnlich: Satie verwendet alle 12 Töne der chromatischen Tonleiter gleichberechtigt. Die „Vexations“ werden daher auch als Vorläufer der um 1920 von Arnold Schönberg entwickelten 12-Ton-Technik angesehen.
Zu Saties Lebzeiten wurde „Vexations“ nie aufgeführt, erst 1949 wurde die Komposition erstmals veröffentlicht.
In Davos werden sich verschiedene Organisten aus der Schweiz und Deutschland im Stundentakt abwechseln. Ergänzend zum Stück gibt es die Möglichkeit sich auf einer großen Leinwand zu äußern, sowie eine Ruhezone, wo die Zuhörer sich zurückziehen können. Man vermisst diese Musik erst, wenn sie nach 28 Stunden nicht mehr klingt, ebenso wie ein Bild oder einen Vorhang, der plötzlich nicht mehr da ist. Der Eintritt zur „musique d’ameublement“ ist frei.
Ulrich Weissert
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